Mit dem Strom

26.06.2018

Mit dem Strom

Im Straßenverkehr nimmt der Elektroantrieb zunehmend Fahrt auf und könnte den Verbrennungsmotor mittel- bis langfristig ins Abseits drängen. Für Schmierstoffhersteller bedeutet das einerseits sinkende Geschäfte mit Motoröl. Andererseits entstehen aber neue, spannende Herausforderungen und Marktpotenziale – und FUCHS ist in per­fekter Ausgangsposition.

2016 überschritt der weltweite Bestand an Elektroautos die Zweimillionengrenze – und im Laufe des Jahres 2017 dürften nochmals mehr als eine Million hinzugekommen sein. Diese Zahlen (sie umfassen übrigens alle Autos, die man an der Steckdose aufladen kann, also neben rein batteriebetriebenen E-Fahr­zeugen auch Plug-in-Hybride) machen deutlich, wie dynamisch sich der Markt für E-Autos entwickelt. Zwar ist der Anteil am Gesamtmarkt noch gering: Weltweit werden im Jahr an die 100 Millionen Kraftfahrzeuge gebaut. Zumindest in einzelnen Ländern haben E-Autos aber bereits einen spürbaren Marktanteil, allen voran in Norwegen mit rund 30 Prozent. Für die Automobilwirtschaft und angeschlossene Industrien bringt dieser Trend weitreichende Veränderungen – auch für die Schmierstoffhersteller. „Gemeinsam mit der Autoindustrie müssen wir uns neuen Herausforderungen und Fragen stellen“, sagt der Head of Global Product Management Automotive bei FUCHS.

Nun könnte man vermuten, dass der zu erwartende Rückgang bei Verbrennungsmotoren der Schmierstoffbranche Sorgen bereitet. Schließlich findet Motoröl, der bekannteste und großvolumigste Automotive-Schmierstoff, in einem Elektromotor keine Verwendung mehr. Tatsächlich aber bietet die Elektromobilität vor allem Chancen, jedenfalls für FUCHS. Technik-Vorstand Dr. Lutz Lindemann sagt: „Elektroantriebe bringen jede Menge neue Anforderungen mit sich, für die wir völlig neue Schmierstoffgenerationen definieren werden.“

Neue Materialien, höhere Drehzahlen, elektrische Felder

Angesichts dieser großen gemeinsamen Aufgabe geht FUCHS aktiv auf seine Partner in der Automobilindustrie zu und macht – unter anderem im Rahmen von Fachvorträgen bei Expertenforen – deutlich, dass der Trend zum elektrischen Fahrzeugantrieb zahlreiche neue Anforderungen im Schmierstoffbereich nach sich zieht. Das beginnt beim Produktionsprozess: Für E-Autos kommen neue Materialien und Fertigungsverfahren zum Einsatz, das macht neue Bearbeitungsflüssigkeiten nötig. Es geht weiter im Antriebsstrang – auch E-Autos haben Getriebe und in vielen Fällen Kupplungen, allerdings bei deutlich höheren Drehzahlen und mit hohen Effizienz­anforderungen.

Ein weiterer wichtiger Bereich sind die Schmierfette. Autos der Gegenwart enthalten rund zweieinhalb Kilogramm davon, ver­teilt auf unterschiedlichste Stellen vom Motor über Neben­aggregate bis zur Zentralverriegelung. Zumindest an manchen dieser Schmierpunkte herrschen im E-Auto viel härtere Bedin­gungen: Die Fette müssen höhere Temperaturen und wesentlich höhere Drehgeschwindigkeiten verkraften. Zudem kommen sie mit vielen verschiedenen Materialien vom Kupferkabel bis zum Spezialkunststoff in Kontakt, ebenso wie mit Elektronik­modulen und Sensoren, elektrischen Strömen und elektromag­netischen Feldern.

Neue Additive, neue Messverfahren

Gerade diese neuen elektrischen Anforderungen an Schmierstoffe sind ein Thema, das auch die Entwicklungsabteilung von FUCHS seit längerem beschäftigt. „Wir mussten uns ein ganz neues Repertoire erarbeiten, um die elektrischen Eigenschaften von Schmierstoffen in bestimmtem Maße beeinflussen zu können“, erzählt der Leiter der Vorausentwicklung. Das schließt die Verwendung ganz neuer Additive ebenso ein wie die Entwicklung entsprechender Messverfahren: „Rheologische und tribologische Messmethoden unter elektrischen Umgebungsbedingungen sind bereits jetzt in unserem Labor etabliert.“ FUCHS sei allerdings in einer guten Ausgangsposition gewesen, weil man im Rahmen der zahlreichen elektrischen Detaillösungen im Fahrzeug schon wichtige Erfah­rungen gesammelt habe: „Auch ein Auto mit Verbrennungsmotor hat ja Dutzende Elektromotoren, die verschiedenste Funktionen übernehmen“, so der Bereichsleiter. „Jetzt geht es sozusagen ‚nur’ noch darum, den Primärantrieb zu elektrifizieren – das ist allerdings eine größere Herausforderung, als man meinen könnte.“

Was diese Aufgabe angeht, befindet sich die Branche nämlich durchaus noch in einer frühen Phase. „Der Laie denkt vielleicht: Staubsauger mit Elektromotor gibt es seit hundert Jahren, also wo ist das Problem?“, sagt der Vorausentwicklungsleiter. Aber die Anforderungen sind überhaupt nicht vergleichbar: „Autos werden ungleich dynamischer betrieben.“ Und er nennt gleich einen weiteren wichtigen Aspekt, die Energieeffizienz: „Für E-Antriebe ist die Reibungsminderung durch Schmierstoffe im Grunde noch wichtiger als für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor: Ist beim Verbrenner gegenwärtig die CO2-Reduktion oberstes Entwicklungsziel, so beim E-Auto die größere Reichweite – beides basiert nicht zuletzt auf Reibungsreduktion.“

Hinzu kommen hohe Erwartungen, was Leistung, Gewicht und ganz besonders die Kosten angeht. „Es werden ja momentan verschiedenste Ansätze für teilweise oder ganz elektrifizierte An­triebsstränge verfolgt. Egal welchen Sie nehmen – bei jedem gibt es Punkte, die dringend optimierungsbedürftig sind“, so der Experte bei FUCHS. „Deshalb weiß heute noch niemand, welches Konzept in 20 Jahren vielleicht etablierter Standard sein wird.“

Integrierter Antriebsstrang mit neuartiger Kühl- / Funktionsflüssigkeit

So funktioniert der Fluid-Kreislauf im EU-Projekt ODIN (Optimized electric Drivetrain by Integration): Ein einziges „E-Motoröl“ sorgt gleichermaßen für die Getrie­be­schmierung und transportiert Wärme von Leistungselektronik und E-Motor ab. Alle Komponenten befinden sich in einem gemeinsamen Gehäuse.

E-Motoröle mit Mehrfach-Funktion

In solch einer Übergangsphase lohnt es sich, auch neue Ansätze zu verfolgen. Einer davon ist die Idee, die verschiedenen Komponenten des elektrischen Antriebsstrangs – Leistungselektronik, Elektromotor und Getriebe – möglichst kompakt in einem Gehäuse zu integrieren, um Gewicht und Kosten zu sparen. Mit diesem Ziel startete 2014 das EU-Verbundforschungsprojekt „Optimized electric Drivetrain by Integration“, kurz ODIN, mit Konsortial­partnern wie Renault und Bosch. FUCHS steuerte die Idee bei, ein passendes „E-Motoröl“ für einen kombinierten Schmier- und Kühlkreislauf zu entwickeln: eine Kühl- / Funktionsflüssigkeit also, die gleichzeitig das Getriebe nahezu reibungsfrei drehen lässt, die Abwärme von Elektronik und Motor wegtransportiert und mit möglichst geringem Energieaufwand durch die Leitungen gepumpt werden kann. „Wir haben dafür verschiedene Formulierungsansätze entwickelt und diese E-Engine-Oils erfolgreich dargestellt“, be­richtet der Leiter der Vorausentwicklung. Das Gesamtprojekt habe damit sein Ziel erreicht: „Wir haben ein interessantes, weitgehend fertig entwickeltes Alternativkonzept für einen Elektroantrieb vorgestellt – ob und wofür es die Autohersteller nun einsetzen, muss sich zeigen.“  

Der optimale Integrationsgrad ist allerdings nur eine unter vielen konzeptionellen Fragen, auf die verlässliche Antworten noch fehlen: Ist Strom überhaupt der beste und nachhaltigste Energielieferant für Autos, oder werden erneuerbare Kraftstoffe zur ernsthaften Kon- kurrenz? Welches der vielen Elektromotor-Konstruktions­prinzipien ist das geeignetste? Welcher Drehzahlbereich der günstigste? Reicht ein Getriebe mit fixer Übersetzung, oder lohnt sich eine Gangschaltung?

Für Schmierstoffhersteller ist in dieser Lage vor allem eine Tugend wichtig: Beweglichkeit. Und FUCHS bringt – als weltweit größter unabhängiger Schmierstoffspezialist mit extrem breitem Portfolio und kaum zu überbietender Erfahrung – die besten Vorausset­z­ungen mit, um flexibel zu reagieren. Oder wie es der Automotive-Produktmanager formuliert: „Es ist Teil unserer Kultur bei FUCHS, neue Anforderungen schnell zu bedienen. Der Trend zur Elektromobilität ist eine tolle Gelegenheit, Neuland zu erschließen und an vorderster Front der technologischen Entwicklung zu bleiben.“

Dr. Lutz Lindemann, Technik-Vorstand bei FUCHS

Fragen an Herrn Dr. Lutz Lindemann, Technik-Vorstand bei FUCHS

»Wir haben Teams in Deutschland, China und den USA geschaffen, die sich auf E-Mobility konzentrieren, die Kundenwünsche analysieren und sie in passende Produkte übersetzen.«

Herr Dr. Lindemann, seit dem Dieselskandal mehren sich die Abgesänge auf den Verbrennungsmotor. Was bedeutet das für FUCHS?

Zunächst mal: Es gibt keinen Grund, in Alarmismus zu verfallen! Richtig ist, dass immer mehr Fahrzeuge einen Elektroantrieb haben werden, besonders im urbanen Bereich. Der klassische, befeuerte Antriebsstrang bleibt uns trotzdem noch lange erhalten, beispielsweise in Form von Hybrid-Antrieben. Quantitative Prognosen sind schwierig, weil es viel zu viele Unbekannte in der Rechnung gibt. Vorstellbar erscheint uns aber, dass 2030 der weltweite Marktanteil von Fahrzeugen mit Elektroantrieb etwa 30 Prozent betragen könnte, davon ein nennenswerter Anteil Hybride als Übergangstechnologie.

Auch das bedeutet Verschiebungen im Markt.

Tatsächlich rechnen wir mit einem marginalen Rückgang des  Gesamtvolumens, was den weltweiten Schmierstoffmarkt angeht. Warum nur  marginal? Das hat mehrere Gründe: Das Einzige, was bei reinen E-Autos  wegfällt, ist das Motoröl – Getriebe etwa gibt es weiterhin, entgegen  anderslautender Gerüchte. Der Motoröl-Bedarf sinkt aber wie gesagt nur  allmählich. Drittens, das ist der eigentlich spannende Punkt: Bei  E-Autos entstehen ganz neue Schmierstoff­bedarfe.

Wie kann FUCHS diese Potenziale erschließen?

Mit unserer breiten Produktpalette und unserer Erfahrung, schnell und  flexibel passgenaue Lösungen zu entwickeln, bringen wir die besten  Voraussetzungen mit. Unsere Entwicklungsabteilung arbeitet seit langem  daran, unser Arsenal an Möglichkeiten mit Blick auf die neuartigen  Anforderungen zu erweitern. Und wir haben in den technologietreibenden  Märkten Deutschland, China und USA neue Teams geschaffen, die sich ganz  auf E-Mobility konzentrieren, die Kundenwünsche analysieren und sie in  passende Produkte übersetzen.