Wann ist ein Produkt umweltschonend?

24.09.2020

Wann ist ein Produkt umweltschonend?

Produkte sollen umweltschonend sein, Autos, Verpackungen, Waschmaschinen – und Schmierstoffe. Ein möglichst geringer Verbrauch von Energie und Rohstoffen bei der Herstellung ist eines der anvisierten Ziele. Doch zählt allein eine gute CO₂-Bilanz bei der Herstellung der Produkte, wenn es um die beste Lösung für die Umwelt geht? Wir haben mit Stefan Fassbender, Director Components Business Management EMEA – Fuel and Lubricant Solutions bei der BASF, und Wolfgang Bock, Head of Product Management Industrial Oils bei FUCHS, gesprochen. Die beiden sehen das etwas differenzierter.

Auch wenn Stefan Fassbender und Wolfgang Bock aus zwei verschiedenen Firmen kommen, zwischen ihnen stimmt die Chemie. Sie lachen und scherzen – verlieren dabei ihr Ziel jedoch nie aus den Augen. „Derzeit steht bei einer Bewertung der Nachhaltigkeit von Produkten vorwiegend die Herstellung im Vordergrund“, weiß der BASF-Manager. „Dies ist jedoch ganz sicher nur die halbe Wahrheit. Wir brauchen eine ganzheitliche Analyse, bei der die Umwelt-Performance eines Produkts über seinen gesamten Lebenszyklus von der Fertigung über die Nutzung bis zur Entsorgung in den Blick genommen wird. Diesen Ansatz haben wir in einer gemeinsamen Studie mit FUCHS jetzt umgesetzt. Damit möchten wir einen neuen Standard für die Schmierstoffindustrie schaffen und für ein grundsätzliches Umdenken sorgen.“

Langjähriger Dialog

Schon im Jahr 2015 startete ein intensiver Dialog zwischen FUCHS und BASF zum Thema Nachhaltigkeit. „Bereits seit vielen Jahren erwerben wir Additive für unsere Schmierstoffe bei der BASF und arbeiten schon allein aus diesem Grund eng zusammen. Mit Hilfe der Sustainable Solution Steering® Methode der BASF werden die BASF-Produkte für verschiedenste Märkte und Industrien systematisch auf Nachhaltigkeitsaspekte untersucht und auch uns als Kunden potenzielle Risiken aufgezeigt – unter anderem mit Blick auf die Bewertung und den Zugang bei der EU-Chemikalienverordnung REACH. Das führte immer wieder zu intensiven Diskussionen und zu enger Zusammenarbeit“, so Bock. „In regelmäßigen Gesprächen entwickelte sich dann langsam die Idee, gemeinsam eine ganzheitliche Lebenszyklusanalyse auf den Weg zu bringen, die wissenschaftlichen Bewertungen standhält. Die Ergebnisse sollten uns helfen, unsere Argumente für eine umfassende Nachhaltigkeitsbewertung entlang der gesamten Wertschöpfungskette mit Fakten zu untermauern – für Diskussionen mit unseren Kunden, aber auch mit Verbänden und Organisationen.“

Gespräch unter Fachleuten: Stefan Fassbender (l.) und Wolfgang Bock nehmen ein Hydraulik-Bauteil unter die Lupe.

Hydrauliköle im Blick

Kritisch beleuchtet wurde die „Umweltfreundlichkeit“ von drei mineralölbasierten FUCHS-Hydraulikölen, die 8.000 Stunden in einem Raupenbagger zum Einsatz kamen – ein Standard Einbereichs-Hydrauliköl, ein Standard Mehrbereichs-Hydrauliköl und ein Premium Mehrbereichs-Hydrauliköl. „Wir werden oft gefragt, warum wir das Projekt gerade mit Hydraulikflüssigkeiten durchgezogen haben“, erklärt Bock diese Wahl. „Zunächst werden diese Produkte sehr vielfältig eingesetzt und sind bei den Industrieölen ganz klar die Nummer eins. Ein wichtiger Punkt war aber auch, dass wir in diesem Bereich mit unserer Produktpalette und den entsprechenden Anwendungen ganz nahe an der Praxis sind und bereits über aussagekräftige und umfangreiche Felddaten aus früheren Untersuchungen verfügten.“ Dieses Datenmaterial brachte FUCHS in die Studie ein. BASF steuerte Rohstoffdaten bei, sowie das Know-how und die Methodik für die Durchführung der Ökoeffizienzanalyse. Eine wichtige Unterstützung, denn es war eine große Herausforderung, das Datenmaterial so aufzubereiten, dass es den hohen Ansprüchen einer wissenschaftlichen Studie genügte – und genau das war das grundlegende Ziel.

„Unterm Strich sind die Premium-Fluide die bei weitem umweltschonendere Option.“

WOLFGANG BOCK, HEAD OF PRODUCT MANAGEMENT INDUSTRIAL OILS BEI FUCHS

Doch die Daten der Feldstudien erwiesen sich als belastbar und das Ergebnis war eindeutig. „Klar, dass ein einfaches Hydrauliköl den besten CO-Fußabdruck bei der Herstellung hat, denn es besteht vorwiegend aus Solvent-Raffinaten/Rohölfraktionen und seine Produktion führt kaum zu Emissionen“, erklärt Fassbender. „Das ist bei hochwertigen Produkten, High Performance Hydraulikölen, natürlich anders. Allein schon die Herstellung der dafür benötigten Additive bringt einen höheren Energieverbrauch mit sich. Doch was passiert beim Einsatz im Bagger? Hier punkten die hochwertigen Hydrauliköle und sorgen dafür, dass dieser deutlich weniger Treibstoff verbraucht. Beispielsweise durch die geringere Reibung und einen erhöhten Pumpenwirkungsgrad. Zudem ist die Lebensdauer der Premium-Fluide sehr viel höher, wodurch die Wartungsintervalle verlängert werden können – auch das entlastet die fossilen Ressourcen erheblich.“ Bock bringt es auf den Punkt: „Unterm Strich und mit Blick auf den ganzen Lebenszyklus sind die Premium-Fluide die bei weitem umweltfreundlichere Option.“

Stefan Fassbender (l.) lässt sich von Wolfgang Bock die Funktion dieses Prüfstands erklären, mit dessen Hilfe Auswirkungen des Schmierstoffs im Hydraulikbereich analysiert werden können. Ein wichtiges Thema in diesem Zusammenhang – der Einfluss des Schmierstoffs auf die Reibung und den Wirkungsgrad.

BASF_Grafik_Vergleich-Hydraulikoele_DE_200728

Während der Herstellung hat das Premium Mehrbereichs-Hydrauliköl einen größeren CO₂-Fußabdruck. Doch beim späteren Einsatz im Raupenbagger wird dieser mehr als ausgeglichen: Denn hier sorgt das hochwertige Hydrauliköl für eine signifikante Reduzierung der Emissionen und damit zu einer hohen CO₂-Einsparung.

Premium-Fluid hat die Nase vorn

Die Studie belegt dies mit klaren Zahlen: Der Hydrauliköl-Verbrauch über die 8.000 Betriebsstunden ging wegen der längeren Lebensdauer der hochwertigen Hydrauliköle signifikant zurück – von 1.600 Liter (Standard Einbereichs-Hydrauliköl) auf 400 Liter (Premium Fluid). Doch noch wichtiger: Die Verwendung des Premium Mehrbereichs-Hydrauliköls sparte ca. 9.600 Liter Diesel. Das entspricht einem CO₂-Äquivalent von ca. 30 Tonnen. „Davon profitierte nicht nur die Klimabilanz, sondern auch die wirtschaftliche Bilanz“, freut sich der FUCHS-Manager. „Die Kosten für den Dieseltreibstoff sanken um rund 12.000 Euro.“

Etwa 30Tonnen CO2 werden beim Einsatz des Premium-Fluids eingespart

„Sicherlich wird die Studie weitere Unternehmen unserer Industrie zum Umdenken bewegen“, sagt  Fassbender. „Die Ergebnisse stellen die gewohnte Denkweise völlig auf den Kopf. Ein Produkt ist in der Gesamtbilanz umweltschonender, obwohl es in der Herstellung für mehr CO₂-Emissionen verantwortlich ist“. „Für unsere Kunden bedeutet dies einen ganz anderen Ansatz, wenn es um die Nachhaltigkeitsbewertung ihrer eingekauften Produkte geht“, ergänzt Bock und ist sich mit Fassbender einig: „Natürlich wäre es auch sehr wünschenswert, wenn wir mit dieser Studie Denkanstöße für die gesamte Schmierstoffindustrie liefern können. Wir werden diese Themen auch in die Verbandsarbeit einbringen, zum Beispiel unterstützt FUCHS derzeit aktiv die Gründung eines Nachhaltigkeitskomitees unter dem Dach des europäischen Schmierstoffverbands UEIL. Hier sollen Leitlinien und Standards für nachhaltige Schmierstoffe entwickelt werden.“ Mittelfristig denken die beiden Manager schon über weitere Projekte nach. „Sinnvoll wäre es beispielsweise, eine ähnliche Analyse im Hinblick auf andere Schmierstoffgruppen in Angriff zu nehmen“, so eine Idee. „Außerdem wäre es sicher interessant, neben Hydraulikflüssigkeiten auf Mineralölbasis biologisch abbaubare Hydraulikflüssigkeiten auf Esterbasis in den Fokus zu nehmen. Sie haben eine noch geringere Reibung im Vergleich zu Produkten auf Mineralölbasis und sind nachweislich biologisch abbaubar. Untersuchungen mit solchen Flüssigkeiten wären sicher auch sehr spannend.“

„Die Ergebnisse der Studie werden andere Unternehmen in unserer Industrie zum Umdenken bringen.“

STEFAN FASSBENDER, DIRECTOR COMPONENTS BUSINESS MANAGEMENT EMEA – FUEL AND LUBRICANT SOLUTIONS BEI DER BASF

Umweltbilanzen aus unterschiedlichen Blickwinkeln

Gate2gate: Beim Bewertungszeitraum „von Tor zu Tor“ beschränkt sich die Ökobilanz auf Vorgänge innerhalb des Unternehmens, also vor allem auf die Produktion der Fertigprodukte.

 

Cradle2gate:Bei dem Betrachtungszeitraum „von der Wiege bis zum Unternehmenstor“ wird die Ökobilanz der Herstellung inklusive der Rohstoffe bewertet.

 

Cradle2grave: Bei dem Ansatz „von der Wiege bis zur Bahre“ geht es um eine Bewertung des gesamten Produktlebenszyklus von der Rohstoffgewinnung über die Herstellung und Anwendung bis zur Entsorgung.

 

Cradle2cradle: Dieser Ansatz betrachtet die „komplette Wertschöpfungskette“ von Rohstoffgewinnung über deren Verarbeitung weiter zur Produktion von Fertigprodukten, deren Anwendungsphase und Entsorgung sowie potenzielle Rückführung in den Stoffkreis über Recycling – also die Kreislaufwirtschaft.

Ökoeffizienzanalyse

Ökonomie und Ökologie miteinander in Einklang zu bringen – das ist das Ziel der Ökoeffizienzanalyse. Produkte oder Verfahren, die denselben Kundennutzen erfüllen, werden hierbei verglichen. Dabei wird eine ganzheitliche Betrachtung entlang des gesamten Lebenswegs der Lösungsalternativen durchgeführt. Bei der Umweltwirkung werden u. a. der Rohstoff-, Wasser- und Flächenbedarf berücksichtigt, aber auch die Treibhausemissionen und die Folgen des Produkteinsatzes hinsichtlich Versauerung und die Ozonzerstörung. Die Ökoeffizienzanalyse basiert auf der DIN EN ISO 14040 und 14044 für ökologische Bewertungen. Für die ökonomische Bewertung und die Aggregation der gesamten Ökoeffizienzanalyse liegt seit 2012 die ISO-Norm 14045 als Grundlage vor.