Auf neuem Terrain

22.03.2016

Auf neuem Terrain

Mit der DEUTSCHEN PENTOSIN-WERKE GMBH hat FUCHS 2015 den Marktführer im technologisch anspruchsvollen Segment der Doppelkupplungsgetriebeöle erworben. Ein Großteil der in diesem Bereich tätigen Kfz-Hersteller und Zulieferer vertraut auf PENTOSIN-Produkte. Das Traditionsunternehmen aus Wedel entwickelt die Öle in enger Abstimmung mit den OEMs und produziert sie in einer weitgehend automatisierten Anlage – in Chargen von bis zu 1.000 Tonnen. Mit einer weiteren Akquisition, der STATOIL FUEL & RETAIL LUBRICANTS AB, hat FUCHS zudem seine Präsenz in Nord- und Osteuropa deutlich verstärkt.

Der Trend zu hybriden und rein elektrischen Fahrzeugantrieben bietet Chancen. Denn Getriebe wird es wohl auch in Elektroautos immer geben. FUCHS ist für die damit einhergehenden neuen Anforderungen gewappnet.

 

Versagt die Schmierung eines Automatikgetriebes, kann das unter Umständen sehr negative Folgen haben: Bei einer bestimmten Drehzahl beginnt das Auto plötzlich zu zittern und zu beben, als hätte es ein Eigenleben und wollte die Fahrzeuginsassen abschütteln. Fachleute haben freilich eine trockene tech­nische Erklärung für das Phänomen: Gerät eine Kupplung in den Bereich des sogenannten Stick-Slip-Effekts, bei dem die Scheiben fast aneinan­derhaften und nur ruckartig weitergleiten, und passt die Frequenz dieser rüttelnden Bewegung zu einer Resonanzfrequenz der Karosserie, kommt es zum „shudder“ – der ganze Wagen erzittert.
Getriebeöl darf also durchaus als kritische Komponente in Sachen Komfort und Fahrfreude angesehen werden. Dasselbe gilt ­übrigens mit Blick auf Verbrauch und CO²-Ausstoß, denn auch in modernen Doppelkupplungs-Automatikgetrieben schlummert durchaus noch das eine oder andere Prozent an Einspar­potenzial, wie Dr. Edgar Steigerwald erklärt. „Und Fuel ­Economy ist heute der bestimmende Trend bei den OEMs."

Königsklasse der Getriebeöle

Steigerwald ist Chemiker und leitet die Entwicklungsabteilung bei den DEUTSCHEN PENTOSIN-WERKEN in Wedel – einem auf Automotive-Schmierstoffe spezialisierten Unternehmen, das seit 2015 zur FUCHS-Familie gehört. Er und sein Team arbeiten kon­tinuierlich daran, die Öl- und damit auch die Getriebeperformance zu optimieren. Zentral dafür ist ein eng mit den Her­stellern verzahnter Entwicklungs- und Prüfprozess. In diesem Bereich sieht Steigerwald die besondere Stärke des Unter­nehmens: „Entwicklung ist das Nervenzentrum von PENTOSIN.“ So konnte es ein ums andere Mal gelingen, ein die jeweiligen Anforderungen erfüllendes Öl zu ­konfektionieren. Das gilt insbesondere für Doppel­kupplungsge­triebeöle, kurz DCTFs (dual clutch transmission fluids). Sie müssen, bedingt durch die Konstruktionsweise dieser modernen Auto­matikgetriebe, besonders viel leisten und bilden dadurch eine Art Königsklasse der Getriebeöle.

In dieser Klasse ist FUCHS durch die PENTOSIN-Akquisition der ­Primus. Die meisten OEMs vertrauen auf PENTOSIN und haben jeweils ausschließlich das auf ihr Getriebe abgestimmte Produkt für Erst­befüllung und Service zertifiziert. Der Absatz der ent­sprechenden Produktreihe ist beständig am Wachsen, und immer wieder ­kommen neue DCTF-Generationen für neue Getriebe­hersteller hinzu. Die Öle sind sowohl bei Volumenherstellern beliebt als auch bei exklusiven Sportwagenschmieden. Stei­gerwald: „Wir haben die Möglichkeit, die Reibung sehr hoch einzustellen. Das ist nötig, um hohe Drehmomente gut auf die Straße zu bringen.“

Das meistverkaufte DCTF ist das FFL-2. FFL-2 ist eine kaum zu toppende Referenz, wie der Entwicklungsleiter erläutert: „Wir haben viele tausend Tonnen davon verkauft, die sich im Feld hervorragend bewährt haben.“

Automated production: computer-controlled pumps and valves secure the right mix.
Automated production: computer-controlled pumps and valves secure the right mix.
Automated production: computer-controlled pumps and valves secure the right mix.

Automated production: computer-controlled pumps and valves secure the right mix.

[Translate to English:] Dauerläufer: Das FFL-2 begründet die Erfolgsgeschichte

Dauerläufer: Das FFL-2 begründet die Erfolgsgesschichte

Detailliertes Kochrezept

Die Nachfrage entwickelte sich so rasant, dass der Standort Wedel mehrfach seine Produktionskapazitäten aufstocken musste. Zwei große Mischtanks ermöglichen es heute, Chargen von 600 oder sogar 1.000 Tonnen herzustellen. Gefahren wird die Produktion dabei im Wesentlichen von Fachpersonal in einer Leitwarte. Diese kann von einem Computer mit vier ­Monitoren aus alles steuern: Jeder Tank mit Füllstand, jeder Rührer, jede Pumpe, jedes Ventil und seine aktuelle Durch­flussmenge wird auf den Schirmen visualisiert. Die Formulierung des jeweiligen Produkts ist hier hinterlegt, ebenso das genaue Herstellungsprozedere. Dabei handelt es sich um eine Art Kochrezept: Detailliert ist festgelegt, welche Basis­flüssigkeiten und Additive in welcher Zusammensetzung und welcher Reihenfolge in den Mischbehälter gepumpt werden und wie lange Um­wälzpumpen und Rührer jeweils ihren Dienst verrichten müssen.

Ist das Prozedere abgearbeitet, was mehrere Tage dauern kann, ist ein homogenes Gemisch entstanden. Es werden Proben ent­nommen und erst im Labor, dann auf dem Prüfstand aus­führlich und nach einem produkt- beziehungsweise kunden­spezifischen Prozedere getestet. Nur wenn alle Testergebnisse den Anforderungen entsprechen, wird die Charge zur Aus­lieferung freigegeben. Dann können die Tanklastwagen anrollen, die das Öl für die Erstbefüllung zum Getriebehersteller bringen. Zudem kann die Abfüllanlage in Aktion treten und Teile des Öls in verschiedene Gebinde verpacken; diese gehen schließlich für den Getriebeölwechsel und zum Nachfüllen an Werkstätten und in den Handel.

In ganz ähnlicher Weise und vom selben Leitstand aus gesteuert, allerdings in ansonsten getrennten Produktionssträngen, ent­stehen in Wedel auch Motoren- und Hydrauliköle. Hinzu kommen kleinere Mischtanks, in denen manuell kleine Chargen hergestellt werden können, unter anderem, um in Testläufen bestimmte Parameter für die Großproduktion festzulegen.

Familienzuwachs im Norden

FUCHS hat im Oktober 2015 die in Stockholm ansässige STATOIL FUEL & ­RETAIL ­LUBRICANTS AB (SFRL) übernommen und steigt damit in Skandinavien zum Marktführer auf. Zusätzlich wird das Geschäft in Mittel- und Osteuropa ­entscheidend ­gestärkt, denn SFRL erzielt rund ein Drittel seines Umsatzes von 140 Millionen Euro in Polen, Russland sowie den baltischen Staaten Litauen, ­Lettland und Estland.
Der Schmierstoffhersteller mit einem Portfolio von 750 Produkten gehörte zuletzt der kanadischen Convenience-Store-Kette Couche-Tard. Diese hatte SFRL 2012 als Teil der Tank­stellentochter STATOIL FUEL & RETAIL von dem norwegischen Öl- und Gaskonzern STATOIL erworben. Es handelt sich also um ein traditions­reiches Unter­nehmen mit bekannter Marke.
Die STATOIL Schmierstoff-Marken darf FUCHS drei Jahre lang weiternutzen, die insgesamt 470 Mitarbeiter hat der in Mannheim beheimatete Schmierstoffspezialist alle ­übernommen. Den aktuellen Produk­tionsstandort hat FUCHS für fünf Jahre gepachtet, mittelfristig ist der Bau eines eigenen Werks in Schweden ­geplant. Weltweit verfügt die FUCHS-Familie nun über 60 Standorte und 33 Produktions­werke.

Eine lange Erfolgsgeschichte …

Die Anfänge von PENTOSIN reichen freilich noch viel weiter zurück: Bereits 1927 gründete Heinrich Freudenthal in Hamburg die ­Deutschen PENTOSIN-Werke, die damals allerdings veterinär­medi­­zinische Qualitätsprodukte herstellten. Binnen weniger Jahre machte sich das Familienunternehmen auch über die Grenzen Deutschlands hinaus einen Namen. Bald darauf erkannte der Gründer jedoch, dass der Automobilindustrie eine große Zukunft bevorstand. Er begann also, Schmierstoffe und Bremsflüssig­keiten zu entwickeln. Anfang der 1960er Jahre wurde ein zweiter Produktionsstandort in Dormagen errichtet. Heute entstehen dort beispielsweise Kühlerschutz- und Bremsflüs­sigkeiten. Das Hauptwerk inklusive Verwaltung, Laboratorien sowie Forsch­ung und Entwicklung zog 1972 von Hamburg ins nahegelegene Wedel um und wurde seither mehrfach durch Zukauf umlieg­ender Grundstücke erweitert.

Einschließlich einer kleineren Niederlassung in Brasilien beschäftigte PENTOSIN im Jahr 2015 insgesamt 190 Mitarbeiter. Nicht zuletzt dank des Technologievorsprungs im Bereich der Doppelkupplungsgetriebeöle wuchs das Geschäft in den vergan­genen Jahren kon­tinuierlich. Der Umsatz betrug im Jahr vor der Übernahme durch FUCHS 135 Millionen Euro.

… mit Zukunftspotenzial

Auf den Erfolgen ausruhen will und kann man sich indes nicht. Man habe viele Kunden und viele Interessenten und damit immer ­wieder neue Anforderungen, für die es durch die Weiterentwicklung der vorhandenen Öle Lösungen zu finden gelte, erklärt ­Entwicklungschef Steigerwald: „Es gibt wirklich keinen einzigen Tag, der langweilig wäre.“


Dabei muss das Entwicklungsteam auch die Zukunftstrends im Automotive-Bereich im Blick haben: Zum einen sind die Anforderungen bezüglich Spriteinsparung und auch Haltbarkeit stetig am Wachsen. So wolle ein Zulieferer beispielsweise das Wechselintervall für das Getriebeöl von 60.000 auf 120.000 Kilometer ver­doppeln – und dabei gleichzeitig das Ölvolumen im Getriebe halbieren, wodurch sich Alterungseffekte eigentlich potenzierten. Die Entwickler sind aber zuversichtlich, auch diese Herausforderung zu meistern. Zum anderen sieht man auch den Trend zu hybriden und rein elektrischen Fahrzeugantrieben als Chance. Denn Getriebe wird es, wie man inzwischen weiß, wohl auch in Elektroautos immer geben. Und für die damit einhergehenden neuen Anforderungen – so sind plötzlich Eigenschaften wie die elektrische ­Leitfähigkeit oder die Durchschlagspannung von Interesse, die bei Automotive-Schmierstoffen zuvor nie eine Rolle spielten – sei man gewappnet.


Vor allem aber dürfte der weltweite Markt für Doppelkupp­lungsgetriebe mit ihrer mustergültigen Verbindung von Effizienz und Komfort noch auf Jahre hinaus wachsen. Und in diesem Bereich ist PENTOSIN nun einmal der Platzhirsch. Vieles spricht also dafür, dass die Erfolgsgeschichte noch lange weitergeht.

Dr. Ralph Rheinboldt

Dr. Ralph Rheinboldt

Für Europa zuständiger Vorstand der FUCHS ­PETROLUB SE

Fragen an
Dr. Ralph Rheinboldt

Für Europa zuständiger Vorstand der FUCHS ­PETROLUB SE

Mit STATOIL FUEL & ­RETAIL ­LUBRICANTS AB ­ver­fügt FUCHS nun über eine deutlich ­gesteigerte Präsenz in Nordeuropa. Hat die Akquisition neben neuen Vertriebs­chancen noch weitere Aspekte?

Mit der Akquisition von STATOIL FUEL & ­RETAIL ­LUBRICANTS AB (SFRL) hat FUCHS in den nordischen Ländern eine marktführende Stellung erreicht. Darüber hinaus konnte die Marktpositionierung in verschiedenen Ländern Mittel- und Ost­europas ausgebaut ­werden. Aufgrund der sehr breiten Kundenbasis von SFRL haben wir nun Zugang zu Kunden, die FUCHS ­bislang nicht oder nur kaum hatte. Darüber hinaus ­verbessern wir unsere Logistik in den nor­dischen Ländern und ­werden damit auch für FUCHS-Bestands­kunden ein noch attraktiverer Partner. Technologisch wird das FUCHS-Produktportfolio ergänzt, beispielsweise mit Produkten für die Offshore-Industrie oder mit Produkten, die für kalte Klimazonen besonders geeignet sind.

Bei der zweiten großen Akquisition 2015, den Deutschen PENTOSIN-Werken, ist die Idee nicht ganz so offensichtlich: Mit Kfz-Herstellern und -Zulieferern war FUCHS doch auch bisher schon gut im Geschäft.

Das stimmt. FUCHS ist ein anerkannter Partner der Automobil- und der Automobilzulieferindustrie. Bei der PENTOSIN-Akquisition stand auch weniger der Zugang zu einzelnen Kunden oder Kundengruppen im Vordergrund, sondern vielmehr die Produkttechnologie. Mit den Produkten der PENTOSIN hat FUCHS seine Produktpalette im Bereich des „First Fill“ bei deutschen und ­internationalen Automobilherstellern erweitert. Dieser technologische Zugewinn gepaart mit der globalen ­Positionierung von FUCHS bietet große Chancen, die wir nutzen werden.